Monika Helfer „Die Bagage“
Liebe Mitglieder und Teilnehmer an unseren Veranstaltungen,
die coronabedingten Kontaktbeschränkungen gehen nicht spurlos an uns vorbei – und eine Rückkehr zum Alltag ist so schnell noch nicht in Sicht. Der Mensch ist aber ein soziales Wesen und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Gemeinschaft ist ein grundlegend menschliches Bedürfnis. Soziale Isolation bleibt nicht ohne Folgen für körperliche und geistige Gesundheit des Betroffenen… .
So eine Situation wird eindrucksvoll beschrieben in einem Buch von Monika Helfer:
„Die Bagage“
Hanser-Verlag München, 158 Seiten, 19 €
Das Cover wurde nach einem Motiv von Gerhard Richter gestaltet.
Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern am Rand eines Vorarlberger Bergdorfes. Das kleine Haus liegt in augenfälliger Distanz zum eigentlichen Dorf, als wollten die Bewohner nichts zu tun haben mit den Nachbarn. Die Familie Moosbrugger scheint ein abgeschiedenes Leben zu führen. Maria und Josef kämpfen mit vielen Vorurteilen. Es beginnt schon damit, dass die Familie sich absondert und anders lebt, ohne elektrischen Strom zum Beispiel …
und weil Maria schöner ist als die neidische Konkurrenz in der kleinen Gemeinde
…und weil Josef krumme Geschäfte mit dem Bürgermeister macht.
In der Kirche müssen die Moosbruggers in der letzten Reihe knien. Sie sind die Abseitigen, die Armen. Die Dorfbewohner nennen sie abschätzig „Bagage“.
„Bagage“: So nennt man lästige Familienclans oder Gruppen von zwielichtigen Gestalten, die sich nicht an die üblichen Regeln halten. Das Wort kommt ursprünglich aus dem Französischen und bedeutet Gepäck. So ist die Bagage also etwas, das man mit sich herumträgt und das mitunter eine ziemlich schwere Last sein kann. Der Titel „Die Bagage“ ist gut gewählt für einen Roman, in dem es um ein dunkles Familiengeheimnis geht, das über Generationen hinweg eine Belastung darstellt.
Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Er gibt Gottlieb Fink, dem Bürgermeister, der auch sein Partner bei etwas dubiosen Geschäften ist, den Auftrag, während seiner Abwesenheit auf seine Frau aufzupassen. Der Bürgermeister übernimmt die Aufgabe, wobei er seinen eigenen Vorteil nicht aus den Augen verliert. Er versorgt die Familie mit Lebensmitteln, wird aber öfter zudringlich.
Bei einem Marktbesuch verliebt sich Maria in Georg aus Hannover, der sie zweimal besucht. Aber bis auf einen geheimnisvollen Kuss und ein berauschendes Gefühl geschah nichts.
Nach einem Fronturlaub von Josef wird Maria schwanger, und alle im Ort sind sich sicher, dass das Kind nicht von Josef sein kann. Alle wenden sich von Maria ab, und der Pfarrer und der Lehrer der Kinder beschimpfen sie öffentlich als Hure. Margarete, genannt Grete, wird als 5. Kind der Moosbrunners geboren. Als Josef 1918 aus dem Krieg zurückkehrt, erfährt er von den Gerüchten und glaubt seiner Frau nicht, dass Grete seine Tochter ist.
Josef wird Grete niemals ansehen, ansprechen oder berühren.
Das Besondere an dieser Situation ist auch, dass Grete die Mutter der Autorin ist.
Monika Helfer will ihre Herkunft kennen. Ihre Hauptinformationsquelle ist ihre Tante Katharina, die die Geschwister nach dem frühen Tod der Eltern betreute. Auch Monika Helfers Mutter Grete starb früh, und wieder ist es die Tante, die die Kinder aufnimmt, als die Autorin 11 Jahre alt ist. Ihre Erinnerungen und Geschichten aus der Familie gibt sie allerdings erst gegen Ende ihres Lebens preis.
Klar und schnörkellos erzählt Monika Helfer auf nur 160 Seiten die Geschichte ihrer Familie und deren Ausgrenzung.
Es ist die Geschichte von Monika Helfers Familie – auch im übertragenen Sinne am Rande eines Bergdorfes lebend – und die Geschichte eines Kindes, ihrer Mutter, das vom Vater wie Luft behandelt wurde.
Mir hat dieser Roman sehr gefallen.
Motiviert er doch dazu, dankbar zu sein für eine glückliche Kindheit und erlebte Gemeinschaft, und auch, über die eigene Familienkonstellation nachzudenken.