Spaziergang – Rainer Maria Rilke

12. Februar 2021
by Elisabeth Vente-Smusch
  • Beethoven

Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten,
dem Wege, den ich kaum begann, voran.
So fasst uns das, was wir nicht fassen konnten,
voller Erscheinung, aus der Ferne an —

und wandelt uns, auch wenn wir´s nicht erreichen,
in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind;
ein Zeichen weht, erwidernd unserm Zeichen …
Wir aber spüren nur den Gegenwind.

Dichter und Denker fanden oft im Gehen die schönsten Worte …

Liebe Mitglieder und Teilnehmer an unseren Veranstaltungen,

gehen Sie auch so oft spazieren wie noch nie?

Seit Corona uns überrollte und die Welt zum Stillstand zwang, erlebt der Spaziergang eine verblüffende Renaissance. Er ist eine gute Möglichkeit, die heimischen vier Wände zu verlassen, ohne sich dabei allzu vielen Viren auszusetzen.

Die Virologen ermutigen uns Menschen dazu, das Immunsystem durch körperliche Bewegung zu stärken. Aus medizinischer Sicht bietet der Spaziergang einen ganzen Blumenstrauß an positiven Effekten. Dabei ist er nicht nur gesundheitsfördernd, sondern auch noch kostenlos.

Die Sehnsucht, in die Natur, in den Wald zu gehen, um sich zu bewegen und zu sich zu finden, ist den Menschen seit langem zu eigen.

Schon Goethe ließ in seinem „Osterspaziergang“ die Menschen jubeln:

„Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein!“

Beethoven und Goethe beim Spaziergang – ein Bild aus der Ausstellung Welt.Bürger. Musik in der Bundeskunsthalle in Bonn

Die Langsamkeit des Fußgängers führt uns am dichtesten an das Leben heran, sagen Wissenschaftler. An der Universität Kassel ist sogar ein Studienfach entstanden: Die Promenadologie, auch Spaziergangswissenschaft genannt, wurde dort ins Leben gerufen.

 

Auch ist der besinnliche Spaziergang durch die Natur/den Wald für manche Menschen ein individueller Ersatz des Kirchgangs.

 

Im April 2019 erlebten wir mit einer Naturführerin den wunderschönen Bürgerpark in Bremen.

Sie trug das folgende Gedicht eines unbekannten Autors vor und erfreute damit viele Teilnehmer:

 

Doktor Wald

Wenn ich an Kopfweh leide und Neurose,

mich unverstanden fühle oder alt,

dann greif ich nicht zur Pillendose,

dann konsultiere ich den Doktor Wald.

 

Er ist mein Augenarzt und  mein Psychiater,

mein Orthopäde und mein Internist.

Er hilft mir sicher über jeden Kater,

ob er aus Kummer oder Kognak ist.

 

Er hält nicht viel von Pülverchen und Pillen,

doch umsomehr von Sonne und von Licht.

Behandeln wird er mich stets im Stillen

und ein Honorar verlangt er nicht.

 

Er bringt mich immer wieder auf die Beine,

und meine Seele schnell in‘ s Gleichgewicht.

Verhindert Fettansatz und Gallensteine

nur – Hausbesuche macht er nicht.

 

Vielleicht gehört der Spaziergang zu den Entdeckungen, die wir uns bewahren, wenn endlich alles vorbei ist.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Spaziergehen – und bei anderen Aktivitäten, die Ihnen gut tun – damit wir alle diese Durststrecke einigermaßen heil durchstehen.

 

Im Namen des ganzen Vorstands

Elisabeth Vente-Smusch